Eine deutsche Rechtsauskunft eines Rechtsanwalts auf dunkelblau-weißem grafischen Hintergrund, die eine Entscheidung des 6. Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG) detailliert beschreibt. Es geht um Kündigungsschutzgesetze bei Massenentlassungen. Die Entscheidung ist vom 11. Mai 2023 und trägt das Aktenzeichen 6 AZR 157/22. Website: www.ra-wack.eu.
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Schwellenwert für die Betriebsgröße bei der Massenentlassung

Der 6. Senat des BAG beabsichtigt, seine Rechtsprechung, dass eine Kündigung als Rechtsgeschäft gegen ein gesetzliches Verbot verstößt und die Kündigung deshalb unwirksam ist, wenn bei ihrer Erklärung keine wirksame Massenentlassungsanzeige erfolgt, aufzugeben. Die hierin liegende entscheidungserhebliche Abweichung zur Rechtsprechung des 2. Senats des BAG erfordert die Anfrage nach § 45 ArbGG, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhält.

Sachverhalt

Der Kläger (AN) war seit 1994 bei der Schuldnerin (V) beschäftigt. Im September 2020 hatte die V 25 Mitarbeiter. Ein Betriebsrat war nicht gebildet. Am 29.9.2020 wurde über das Vermögen der V die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet. Der Beklagte (Bekl) wurde zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Am 1.12.2020 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Bekl zum Insolvenzverwalter bestellt.

Im Oktober 2020 wurden durch Kündigungen und Aufhebungsverträge die Arbeitsverhältnisse der 22 verbliebenen Mitarbeiter beendet. Das Arbeitsverhältnis des AN kündigte der Bekl mit Schreiben vom 2.12.2020 zum 31.3.2021. Er führte weder eine Sozialauswahl durch noch erstattete er eine Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG.

Klage:

Der AN hat gegen die Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben.

Vorabentscheidungsersuchen:

Der Senat hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die regelmäßige Betriebsgröße für die Anwendung der Massenentlassungsrichtlinie (MERL) durch einen Rückblick auf die bisherige personelle Betriebsstärke ermittelt wird oder ob auf die am Entlassungstag vorhandene Arbeitnehmerzahl abzustellen ist.

Argumente des Senats:

  • Der Senat hält die  Auslegung des Tatbestandsmerkmals „in der Regel“ in § 17 KSchG durch das  Bundesarbeitsgericht (BAG) im Einklang mit dem Unionsrecht.
  • Für die Ermittlung der personellen Betriebsstärke ist die Regelanzahl der Beschäftigten maßgeblich.
  • Im Fall einer Betriebsstilllegung ist eine Vorausschau nicht möglich. Insoweit kommt nur ein Rückblick auf die bisherige Belegschaftsstärke in Betracht.
  • Der Schwellenwert von mehr als 20 in der Regel beschäftigten Arbeitnehmern gem. § 17 KSchG war im Zeitpunkt der Kündigung des AN überschritten.

Rechtsfragen:

  • Wie ist die regelmäßige Betriebsgröße für die Anwendung der MERL zu ermitteln?
  • Ist die Kündigung des AN wirksam?

Hinweis:

Die Entscheidung des EuGH zu der Vorlagefrage des Senats ist abzuwarten.

BAG Beschl. v. 11.5.2023 – 6 AZR 157/22 

Volltext: https://openjur.de/u/2472338.html

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